Musäumsdirektorin Sabine Rinberger im Valentin-Karlstadt-Musäum in München. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Karl Valentin ist zum 75. Todestag «aktueller denn je»

«Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen» – zeitlos und themenneutral hat Karl Valentin so den Ablauf von Konferenzen und Debatten beschrieben. Für viele Lebenslagen prägte der Münchner Komiker philosophische Weisheiten. «Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch» – mit diesem Valentin-Spruch etwa kommentierte der Krüner Bürgermeister Thomas Schwarzenberger die Entscheidung der Bundesregierung, den G7-Gipfel im Sommer 2022 erneut auf dem Gebiet seiner kleinen oberbayerischen Gemeinde abzuhalten.

Auch «Fremd ist der Fremde nur in der Fremde» ist in Zeiten von Flüchtlingsströmen und Fremdenfeindlichkeit höchst aktuell – und gerne wird auch der akrobatisch verdrehte Spruch zitiert: «Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.» Dafür mussten Betreiber eines Internet-Portals mit Zitat-Sammlung vor mehr als zehn Jahren zahlen – ein Münchner Gericht entschied damals: Urheberrecht verletzt. Der Spruch, so berichtet Gunter Fette, Anwalt und Betreuer des Valentin-Nachlasses, sei auch von einem Sex-Shop benutzt worden. Auch wenn das gerade dort sehr gut passte, habe er abgemahnt.

Surrealer Witz und Anarchie

Inzwischen sind Valentins Worte teilweise frei. Bis 70 Jahre nach dem Tod eines Menschen gilt in Deutschland der Urheberrechtsschutz, am 9. Februar ist nun der 75. Todestag von Karl Valentin, der 1948 starb. Doch Vorsicht: Seine Partnerin Liesl Karlstadt war in vielen Fällen Mitautorin, sie starb 1960, der Schutz hier läuft erst 2030 ab.

Surrealer Witz und anarchisches Denken kennzeichnen den Stil des schlaksig dürren Komikers, den manche zum Vordenker des absurden Theaters erklärten. Über 400 Bühnenstücke, Szenen, Couplets und Vorträge hat der Alltagsphilosoph, Filmemacher, Poet und «Wortzerklauberer» geschrieben. Mit seinem bitter-schwarzen Humor bringt er die Menschen zum Lachen – das oft im Hals steckenbleibt. Der Schriftsteller Samuel Beckett bemerkte nach dem Besuch eines Valentin-Abends, er habe «viel und voll Trauer gelacht».

Es sind auch Kleinbürgertum und die Nöte der kleinen Leute, die Valentin karikierte. Der «Buchbinder Wanninger», der am Telefon endlos weiterverwiesen wird, gehört bis heute zu Valentins bekanntesten Sketchen – auch wenn es inzwischen eher elektronische Vermittlungsmenüs sind, die Anrufer den letzten Nerv kosten.

Am 4. Juni 1882 wurde Valentin im Münchner Vorstadtviertel Au als Sohn eines Umzugsunternehmers aus Darmstadt und einer Zittauerin geboren. Nach der Schule absolvierte er eine Schreinerlehre, doch die Begeisterung des jungen Valentin Ludwig Fey – so sein bürgerlicher Name – für diesen Beruf hielt sich trotz seines Geschicks in Grenzen. Früh lernte er Zither. 1902 besuchte er eine Varieté-Schule und trat als «Volkssänger» auf. Er entwendete, so schilderte er den Abschied vom Schreinerhandwerk, dem letzten Meister einen Nagel, schlug ihn in die Wand «und hing daran das goldene Handwerk der Schreinerei für immer auf».

Bertolt Brecht lernte viel von Valentin

Dennoch zimmerte er zeitlebens viele Requisiten selbst. Von 1903 an baute Valentin einen monströsen Musikapparat, das «Lebende Orchestrion», aus mehr als zwanzig Instrumenten. Den Apparat zerhackte er nach eigenen Angaben nach einer erfolglosen Tournee.

Mit Liesl Karlstadt, bürgerlich Elisabeth Wellano, feierte er in den 1920er Jahren weit über Bayerns Grenzen hinaus Erfolge. Gastspiele gab er in Zürich, Wien und vor allem Berlin. Angebote aus den USA, wo er als deutscher Charly Chaplin umworben wurde, lehnte Valentin ab. Die Reise nach Amerika war für ihn undenkbar – er hatte viel zu viel Angst. 1931 leitete Valentin in Schwabing ein eigenes Theater, doch nach drei Wochen gab er wegen behördlicher Auflagen entnervt auf.

Valentin sei kein Spaßmacher, sondern ein Ernstmacher, heißt es gelegentlich. Nach Meinung Bertolt Brechts machte Valentin keine Witze, sondern war selbst einer: «Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz.» Brecht, der von Valentin lernte, sah in ihm «eine der eindringlichsten geistigen Figuren unserer Zeit». Für Kurt Tucholsky war er ein «seltener, trauriger, unirdischer, maßlos lustiger Komiker, der links denkt».

Nicht Kleinkunst, Valentin ist große Kunst

«Er hat viele inspiriert», sagt Sabine Rinberger, Direktorin des Valentin-Karlstadt-Musäums. «Er hat immer wieder Gültigkeit, das macht Valentin so stark.» In den Räumen im Turm des Isartors in München sind seine skurrilen Ideen ausgestellt: das altertümliche Telefon des Wanninger, der «Winterzahnstocher» mit Pelzbesatz, die «alte Schachtel», die auch mal jung war, eine geschmolzene Schneeplastik, die als Wasser in einem Reindl (hochdeutsch: Bräter) zu bewundern ist, und der Nagel, an den Valentin den Schreinerberuf hängte.

In der Nachkriegszeit kam sein tiefgründiger Humor nicht mehr so gut an. Ein Revival folgte Ende der 1960er Jahre – allerdings mehr im Ausland als in der Heimat, wie Anwalt Fette sagt, der bereits für die dritte Erbengeneration tätig ist. Valentin sei rund um die Welt verkauft worden, von Rio de Janeiro bis Helsinki, von Kasachstan bis Mexiko, von Lissabon bis Ljubljana – und auch in Afrika.

Derzeit sei Valentin sehr gefragt, stellen Museums-Leiterin Rinberger und Anwalt Fette fest. Erstmals seit langem sei mit «Valentiniade» ein Stück von und nach Karl Valentin im Münchner Residenztheater zu sehen. «Seine Sprüche sind aktueller denn je», sagt Fette und zitiert zwei davon: «Die Zukunft war früher auch besser» und «Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie es schon ist.» Fette: «Valentin ist nicht Kleinkunst – er ist ganz große Kunst.»

Von Sabine Dobel, dpa

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