Cover des Buches «Die leuchtende Republik» von Andrés Barba. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Luchterhand/dpa)

Wilde Dschungelkinder: «Die leuchtende Republik»

Spätestens seit den Zeiten von Jean-Jacques Rousseau gilt im Westen das Ideal einer behüteten Kindheit. Es versteht Kinder als unschuldige Wesen, die vor den Zumutungen der bösen Erwachsenenwelt bewahrt werden sollen. Der spanische Autor Andrés Barba zerlegt in seinem international gefeierten Roman «Die leuchtende Republik» diese Idee.

In seinem Werk – eine ebenso faszinierende wie verstörende Mischung aus Dystopie, Fantasyroman und Thriller – werden Kinder zu Outlaws und zu einer Bedrohung für die «normale» Gesellschaft und lösen heftige Abwehrreflexe aus.

Eine Sprache wie Vogelgezwitscher

In «Die leuchtende Republik» kommt die Gefahr aus dem Dschungel. 32 elternlose Kinder tauchen eines Tages wie aus dem Nichts in der argentinischen Stadt San Cristóbal auf und erfüllen die Menschen mit Unbehagen. Über die Herkunft der Kinder wird wild spekuliert. So wird gemunkelt, es handele sich um von Menschenhändlern geraubte Mädchen und Jungen, die aus ihrem Gefangenenlager im Urwald ausgebrochen seien. Erst viel später wird klar, dass die meisten Kinder offenbar freiwillig zusammengefunden haben, was die Sache aber nur noch beunruhigender macht. Ebenso verwirrend ist die Tatsache, dass die Kinder in einer eigenen Sprache miteinander kommunizieren, einer Sprache wie «Vogelgezwitscher, fast ununterscheidbar, wie dieses Summen tief im Urwald.»

Erzählt wird die Geschichte aus Sicht eines leitenden Mitarbeiters der Sozialbehörde, der zwanzig Jahre später auf die dramatischen Ereignisse zurückblickt und dabei auch seine eigene problematische Rolle kritisch reflektiert.

Die Situation in San Cristóbal eskaliert schnell. Anfangs kommt es zu kleineren Taschendiebstählen, dann zu einem gewaltsamen Überfall auf einen Supermarkt, bei dem die Dschungel-Kinder drei Menschen mit Stichwunden verletzen und zwei Kunden sogar töten.

Kinder des Dschungels

Eine seltsame Faszination üben die wilden Kinder auf die bürgerlichen Kinder in der Stadt aus. Diese scheinen die Fremden mehr und mehr wie Schutzpatrone oder Heilige zu beschwören. Auch der Ich-Erzähler meint, eine beunruhigende Veränderung bei seiner neunjährigen Stieftochter festzustellen. Als schließlich einige Bürgerkinder spurlos verschwinden, ist die Stimmung auf dem Siedepunkt.

Obwohl der Ausgang der Geschichte von Beginn an klar ist, weiß Barba eine durchgehende Spannung aufzubauen, befeuert durch die sich immer weiter zuspitzenden Ereignisse. Die eigentliche Anziehungskraft seiner Erzählung besteht aber in den ambivalenten, widerstreitenden Gefühlen, die die Kinder des Dschungels bei dem Ich-Erzähler wie auch bei den Lesern auslösen. Denn die Kinder stehen zum einen für Anarchie, Unabhängigkeit und Entgrenzung, aber eben auch für Schutzbedürftigkeit und Solidarität.

Andrés Barba: Die leuchtende Republik, Aus dem Spanischen von Susanne Lange, Luchterhand, München, 224 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-630-87599-6

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